Folgt man der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung, sieht es so aus, als könnten sich die milliarden-schweren Cum-Ex-Verbrecher selbst einen GRÜNEN Justizminister gefügig machen. Über ihn wird versucht, die Ermittlungsbehörden maßgeblich zu schwächen. Tagesschau.de schreibt hierzu: »Trotz ihrer Erfolge soll Anne Brorhilker (die leitende Oberstaatsanwältin im Cum-Ex-Verfahren) nun offenbar entmachtet werden. […] Nach Recherchen des WDR hatte die Generalstaatsanwaltschaft Köln bereits Anfang des Monats in einem vertraulichen Bericht die Pläne deutlich kritisiert. Die Einschätzung des Generalstaatsanwalts bringt nun auch Justizminister Limbach (Grüne) in Erklärungsnot.« Es steht der Verdacht im Raum, dass der NRW-Justizminister seine Behörde schwächen muss, um die Koalition mit der SPD auf Bundesebene nicht zu gefährden.
Tagesschau.de macht eindrücklich darauf aufmerksam, dass die mögliche Entmachtung der Oberstaatsanwältin einen tiefen Einschnitt in das Vertrauen in den Rechtsstaat darstellt: »Im Herbst 2013 landete der erste Cum-Ex-Fall auf Anne Brorhilkers Schreibtisch. Seitdem ermittelt die Oberstaatsanwältin gegen Banker, Berater und Aktienhändler, die sich Milliarden an Steuern erstatten ließen, die sie zuvor nicht gezahlt hatten. Die ersten wegweisenden und inzwischen rechtskräftigen Urteile des größten deutschen Steuerskandals beruhen vor allem auf Brorhilkers Anklagen. Inzwischen leitet sie eine Hauptabteilung, ermittelt mit 30 Staatsanwältinnen sowie Kriminalbeamten und Steuerfahndern gegen mehr als 1.700 Beschuldigte.« Wer sich zum Wohle des Staates mit so vielen einflussreichen Gegner anlegt, muss sich auf die absolute Unterstützung und Rückendeckung aller demokratischen Kräfte verlassen können.
Der hier dargelegte Verdacht ist aus zwei Gründen skandalös:
Zum einen ist es die schiere Dimension über die hier verhandelt wird. Ein Rechercheverbund schätzt den Steuerschaden auf 150 Milliarden Euro, davon alleine 36 Milliarden in Deutschland. Während der Einfluss von Finanzinvestoren, illegal aber auch legal, immer weiter zunimmt, schwinden seit Jahrzehnten der Einfluss der nichtkommerziellen Zivilgesellschaft auf Medien und Meinungsbildung. Nicht nur in der Schweiz steht das Existenzrecht des öffentlichen Rundfunks unter Dauerbeschuss.
»An den Recherchen waren unter anderem das ARD-Magazin Panorama sowie die britische BBC« beteiligt (ZEITonline). Der öffentliche Rundfunk gehört zu den wenigen, von Finanzinvestoren weitgehend unabhängigen Medien, die überhaupt in der Lage sind, solche Skandale langfristig zu verfolgen, aufzudecken und öffentlich wirksam zu präsentieren. Das macht auch verständlich, warum ARD und BBC immer schärferer Polemik von Seiten starker Finanzlobbyisten ausgesetzt sind. Dabei nimmt sich das Gesamtbudget des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland mit 8,5 Milliarden Euro geradezu bescheiden aus, verglichen mit den Kosten, die diese Finanzjongleure den Bürgern aufgebürdet haben.
Zum anderen sollte allen demokratischen Kräften längst bewusst geworden sein, dass eine wehrhafte Demokratie neben einer starken kritischen Öffentlichkeit vor allem auch auf eine unabhängige Justiz angewiesen ist. Diese Unabhängigkeit ist in Deutschland nicht gegeben, was der Europäische Gerichtshof schon seit Jahren beanstandet. DER SPIEGEL schrieb dazu bereits 2019: »Deutsche Staatsanwaltschaften dürfen einem Urteil des höchsten EU-Gerichts zufolge keine Europäischen Haftbefehle ausstellen. In der Bundesrepublik gebe es "keine hinreichende Gewähr für Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive", urteilte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg.« Es war daher lediglich eine Frage der Zeit, wann eine entsprechend mächtige Lobby oder Person diese Abhängigkeit auszunutzen versucht.
Lesen Sie hierzu auch: »Versagen der Politik?«, »Symptome behandeln - Ursachen ignorieren« und »In der Realpolitik angekommen«.
Klaus Willemsen, 30.9.2023
Verwendete Quellen:
www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/cum-ex-statsanwaltschaft-100.html
www.deutschlandfunk.de/cum-ex-geschaefte-wie-das-verwirrspiel-mit-aktien-100.html
www.zeit.de/wirtschaft/2021-10/cum-ex-skandal-illegale-betrugssysteme-steuerschaden-hoehe-recherche
https://inwo.de/medienkommentare/versagen-der-politik.html
https://inwo.de/medienkommentare/symptome-behandeln-ursachen-ignorieren.html
https://inwo.de/medienkommentare/in-der-realpolitik-angekommen.html