»Wer den Zins verbieten will und den Menschen somit die Möglichkeit auf einen Kredit nehmen will, nimmt ihnen auch die Möglichkeit, Investitionen, die ihnen sinnvoll erscheinen, zeitlich vorzuziehen.« Mit diesem sinnbefreiten Argument polemisieren linke und grüne Protagonisten seit Jahrzehnten gegen „Zinskritiker“ und „Freiwirtschaftler“.
Zinsniveau an die Entwicklung der Wirtschaftsleistung anpassen
Sicherlich finden sich zinskritische Textstellen, die flapsig formuliert sind und den Eindruck erzeugen können, Autoren wollten den Zins abschaffen. Prominentestes Beispiel ist der Buchtitel »Geld ohne Zinsen und Inflation«. Doch niemand, der sich ernsthaft der Kritik am Zinssystem zuwendet, wird den Eindruck erhalten, hier wolle jemand den Zins abschaffen. Von Gesell über Keynes und Creutz bis Rogoff, Kimball, Agarwal oder Krogstrup, bei allen prominenten Kritikern immer positiver Zinssätze geht es letztendlich darum, die Notenbanken in die Lage zu bringen, das Zinsniveau an die Entwicklung der Wirtschaftsleistung anzupassen und das Geld als Zahlungsmittel auch bei niedrigsten oder negativen Wachstumsraten im stetigen Umlauf zu halten. Auf diese Weise wird die völlig unangemessene und gefährliche Aufblähung der Geldmenge vermieden. Gleichzeitig werden die hohe Zinsbelastung der Gesellschaft und das Aufblähen eines Inflationspotentials verhindert.
Handlungsoptionen für die Notenbanken
Bei der seriösen Zinskritik steht im Vordergrund, die temporäre Machtlosigkeit von Notenbanken durch die Einführung einer Liquiditätsgebühr zu überwinden. Derzeit wird permanent versucht, mithilfe neuer Schulden das Wirtschaftswachstum an die Bedürfnisse des Kapitalmarktes anzupassen, sprich hohe Renditen und positive Zinssätze zu gewährleisten. Für die Gesellschaft und die Geldpolitik muss es aber möglich werden, das Zinsniveau an die Entwicklung der Wirtschaftsleistung anzupassen, ohne dabei das Investitionsklima abzuwürgen. Es geht darum, dass auch bei einem Zinsniveau um Null die Geldmenge nicht aus dem Ruder laufen muss.
Aus Loyalität zum Finanzmarkt, oder weil man zu bequem ist, alte Denkschablonen infrage zu stellen, setzen sich einige linke und grüne Protagonisten nicht mit der grundlegenden Idee auseinander. Stattdessen führen sie gerne Scheingefechte, die das weltweite Scheitern linker Theorien jedoch nicht aufklären können.
„Erbsünde“ statt Liquiditätsgebühr
Die Wiederholung eines in vielen Passagen widerlegten Textes von 2011 auf den NachDenkSeiten ist geradezu exemplarisch für das Versagen linker Ökonomen. Anstatt den Kern des Gedankens aufzugreifen und zu diskutieren, konstruiert man sich vermeintliche Argumente: »Der Zins, so liest man auf einigen Internetseiten, sei der Konstruktionsfehler, ja geradezu die „Erbsünde“ unseres Geld- und Finanzsystems«, schreibt Berger zum wiederholten Male, wohl wissend dass dies Propaganda ist.
Nicht der Zins ist der Konstruktionsfehler, sondern die Tatsache, dass es den Notenbanken 2014, als sie die Leitzinsen sinnvollerweise in den Minusbereich absenken konnten, nicht möglich war, den Geldkreislauf in Schwung zu halten. Während die Geldhortung um 5 Billionen Euro zunahm, musste die Geldmenge entsprechend zusätzlich aufgebläht werden.
Die Entstehung der Inflation
Diese gewaltige Geldhortung ignoriert Berger in seiner Argumentation, um im neoliberalen Mainstream bleiben zu können. Somit kann er auch die Entstehung von Inflationspotenzialen in klassischer Weise ignorieren: »Hier sollten die letzten zehn Jahre eigentlich die Argumente ordnen. Während der gesamten Niedrigzinsphase hatten wir in Deutschland ja eben fast überhaupt keine Inflation, während im letzten Jahr Preise und Zinsen stiegen«, argumentiert Berger. Dass die EZB die Geldmenge über viele Jahre hinweg monatlich um 60 Milliarden Euro ausweiten musste, und dabei ein gewaltiges Inflationspotenzial aufgetürmt hat, wird einfach ausgeblendet.
Ich würde diesen Beitrag gar nicht kommentieren, wenn er nicht so exemplarisch wäre, für meine Erlebnisse mit linken und grünen Ökonomen. Auf der Sachebene wird jede Diskussion früher oder später abgebrochen. Stattdessen weicht man immer gerne auf Nebensächlichkeiten aus oder bemüht ideologische Scheinargumente. Den NachDenkSeiten geht es seit geraumer Zeit mehr um Meinungsmache als um das Nachdenken über eine bessere Gesellschaft. Man kann der Redaktion zugute halten, dass sie zahlreiche Einwände gegen die plumpe Diffamierung einer konstruktiven Geldpolitik hier dokumentiert und auch Autoren wie Norbert Häring zu Wort kommen lassen.
Dennoch stimmt es traurig, dass auch in diesem Format Rechthaberei wichtiger ist als die konstruktive, sachliche Auseinandersetzung. Die »alten „Argumente“ der Zinskritiker« in Anführungszeichen zu setzen, um ihre Berechtigung in Frage zu stellen, ist nicht hilfreich bei der Suche nach Lösungen. So wird es nicht gelingen, gegen die Interessen des Kapitals, gesellschaftliche Widersprüche aufzulösen.
Lesen Sie hierzu auch: »Demokratie und Meinungsherrschaft«, »Sind Zinserhöhungen die richtige Antwort auf Inflation durch Sanktionen und andere Ursachen?« und »Gefährliche Almosen-Politik«.
Klaus Willemsen, 9.9.2023
Verwendete Quellen:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=102113
https://www.klaus-willemsen.de/2020/05/03/warum-ich-fuer-die-bargeldgebuehr-bin/
https://www.nachdenkseiten.de/?p=102215 (Häring)
https://www.nachdenkseiten.de/?p=102441&pdf=102441 (Leserzuschriften)
https://inwo.de/medienkommentare/demokratie-und-meinungsherrschaft.html
https://inwo.de/medienkommentare/gefaehrliche-almosen-politik.html