Sehr geehrter Herr Carsten Schneider,

in der Diskussion um Negativzinsen zitiert Sie DER SPIEGEL mit den Worten: »Banken schwimmen in Einlagen, die von Unternehmen nicht als Kredite nachgefragt werden«. Dieser Eindruck wird in den deutschen Medien seit geraumer Zeit kolportiert. Bei genauer Betrachtung lässt er sich jedoch nicht aufrechterhalten. Der Unterschied zwischen dem oberflächlichen Eindruck und der tatsächlichen Situation hat enorme Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Daher liegt uns viel an Ihrer detaillierten Einschätzung der aktuellen Situation als Bankkaufmann, als Mitglied des Bundestags und als SPD-Finanzexperte.

Punkt eins: Die Sichteinlagen bei den Banken haben in den vergangenen Jahren deutlich überproportional zugenommen und im gesamten Euroraum ein Volumen von 4,7 Billionen Euro erreicht. Diese Einlagen können von den Besitzern täglich abgerufen werden. Die langfristige Ausleihung ist den Banken über die Fristentransformation möglich, stellt jedoch ein wachsendes Risiko dar.

Punkt zwei: Die Summe der langfristigen Geldanlagen geht seit 2012 real zurück. Durch die geringe Gewinnerwartung in Kombination mit einer zunehmenden Inflationserwartung fehlt für Anleger der Anreiz, Geldvermögen langfristig auszuleihen.

Punkt drei: In einer zunehmend gesättigten Marktwirtschaft sinken die Gewinnerwartungen. Die Investitionsquote fällt nur dann zurück, wenn die Kreditkosten höher bleiben als die Gewinnerwartungen. Symptom dieses Phänomens ist die Geldhortung und damit verbunden die Deflation.

Punkt vier: Entscheidend für das Verhalten der Anleger beziehungsweise Geldbesitzer und damit für die Möglichkeiten der Geschäftsbanken ist die Spanne zwischen kurzfristigen und langfristigen Zinssätzen. Eine zu flache Zinsstruktur unterbricht den wünschenswerten Geldkreislauf.

Würden Sie uns zustimmen, wenn wir formulieren: Der Negativzins und die Geldgebühr zielen darauf ab, den Geldumlauf zu optimieren. Dies geschieht durch Konsum, Investitionen und durch langfristige Überlassung an andere Marktteilnehmer. Die Geldgebühr, besser Geldumlaufgebühr, verhindert, dass Geldbestände auf den Girokonten überproportional anwachsen und so durch Hortung dem Markt entzogen werden.

Klaus Willemsen, 10.12.2014

Verwendete Quelle:
DER SPIEGEL 48/2014, S.61

Den gleichlautenden Brief vom 5.12.2014 hat Herr Schneider bisher nicht beantwortet. Wir werden nachhaken.